Nach Anke Blöbaum (1998). Die Arbeitsgruppe "Multidisziplinäre Ansätze zur Verhaltensänderung" im DFG-Schwerpunktprogramm "Mensch und globale Umweltveränderungen": Programm und Skalenentwicklungen für ZIS. ZUMA-Nachrichten, 43, S. 153 - 158).
Zielsetzungen und Arbeitsschwerpunkte des DFG-Schwerpunktprogramms "Mensch und globale Umweltveränderungen"
Dieses DFG-Schwerpunktprogramm wurde aufgrund einer Initiative von Wissenschaftlern aus unterschiedlichen Disziplinen (Psychologie, Soziologie, Ökonomie, Politikwissenschaften, Geographie und Ethnologie) eingerichtet, um in einem gemeinsamen Forschungkontext die Thematik des "Global Change" aus unterschiedlichen Perspektiven zu bearbeiten: Spätestens seit der Konferenz "Umwelt und Entwicklung der Vereinten Nationen (UNCED)" 1992 in Rio de Janeiro wurde deutlich, dass die rasante Zunahme globaler Umweltveränderungen nicht mehr als Ergebnis einer natürlichen Entwicklung betrachtet werden kann. Vielmehr sind diese Veränderungen maßgeblich anthropogenen Ursprungs, also indirekte oder direkte Folge menschlichen Verhaltens: Der Mensch ist damit Betroffener, aber zugleich auch Verursacher der globalen Umweltveränderungen. Entsprechend kommt neben den Natur- und Ingenieurwissenschaften gerade den Sozial- und Verhaltenswissenschaften bei der Analyse und Reduktion risikohafter globaler Umweltveränderungen eine entscheidende Rolle zu.
An dem hier beschriebenen DFG-Schwerpunktprogramm sind seit Beginn des Jahres 1995 bundesweit 30 Forschungsprojekte mit über 100 Forscherinnen und Forscher beteiligt. Auf der Grundlage der verschiedenen theoretischen Vorstellungen und methodischen Zugriffsweisen der beteiligten Disziplinen bearbeiten sie gemeinsam Fragestellungen globaler Umweltveränderungen.
Das Schwerpunktprogramm verfolgt dabei sechs sich ergänzende grundlagenwissenschaftliche Zielsetzungen: (1) Wahrnehmung und Bewertung von krisenhaften globalen Umweltveränderungen und darauf bezogenes Verhalten, (2) Analyse politischer und ökonomischer Aspekte der Verursachung und Bewältigung globaler Umweltprobleme, (3) Analyse und Vergleich von Strategien der Ressourcennutzung in gefährdeten Ökosystemen der Dritten Welt, (4) Erarbeitung sozial- und verhaltenswissenschaftlich fundierter Problemlösungen zu globalen Umweltfragen, (5) Kooperation und Koordination und (6) Kritische disziplinübergreifende Theorien und Methodenreflexion.
In dem Schwerpunktprogramm wurde dabei von Beginn an eine Vernetzung der Einzelprojekte zu interdisziplinär zusammengesetzten und thematisch orientierten Arbeitsgruppen angestrebt, um über die Forschungsergebnisse der einzelnen Disziplinen des Schwerpunktprogramms hinaus eine umfassende Behandlung einzelner Problembereiche zu leisten und damit die Ergebnisse und Perspektiven der unterschiedlichen Projekte zu integrieren. Die Skalensammlungen aus vier Projekten einer dieser Arbeitsgruppen werden hier dokumentiert.
Zielsetzungen und Arbeitsschwerpunkte der Arbeitsgruppe "Multidisziplinäre Ansätze zur Verhaltensveränderung"
Bereits während des ersten Kolloquiums des Schwerpunktprogramms im September 1995 wurden erste interdisziplinär zusammengesetzte Arbeitsgruppen gegründet. Zu diesen gehörte auch die Arbeitsgruppe "Multidisziplinäre Ansätze zur Verhaltensänderung". Sie besteht mittlerweile aus sieben Projekten mit PsychologInnen, SoziologInnen, PolitikwissenschaftlerInnen und ÖkonomInnen.
Diese Arbeitsgruppe dient primär als Plattform für eine interdisziplinäre Auseinandersetzung über Modelle der Erklärung und Veränderung von Umwelthandeln, die in den verschiedenen beteiligten Projekten herangezogen werden. Im Verlauf von in der Arbeitsgruppe geführten Diskussionen wurden eine Reihe von inhaltlichen und methodischen Unterschieden bezüglich dieser Modelle deutlich. Darüber hinaus wurden aber auch Überschneidungen sichtbar: Auf theoretischer Ebene werden z.T. verwandte Konstrukte berücksichtigt, die dann allerdings in jedem Projekt unterschiedlich operationalisiert sind. Die Arbeitsgruppe entschied sich daher, die Konstrukte der einzelnen theoretischen Modelle und die verwendeten Skalen zu systematisieren, um so die Modelldiskussionen zu erleichtern. Trotz des methodischen und theoretischen Pluralismus innerhalb der Arbeitsgruppe war schließlich eine einheitliche Dokumentation der Erhebungsinstrumente aus den folgenden vier Projekten möglich:
- aus dem Kieler Projekt "Identifikation von kognitiven, affektiven und sozialen Faktoren des Umwelthandelns",
- aus dem Hohenheimer Projekt "Wohlstandskosten und verantwortliches Handeln. Eine experimentelle Studie zur Eignung von Informationen über den Zusammenhang von Umweltschädigung und Wohlstand als Interventionen zugunsten der Verpflichtung zu umweltschonendem Handeln",
- aus dem Bochumer Teilprojekt "Verantwortung und Umweltverhalten" und seinem Folgeprojekt "Die Interaktion von ökologischer Normorientierung und situativen Faktoren",
- aus dem Gießen-Mannheimer Projekt "Verbot, Anreiz oder Bewusstsein? Determinanten und Beeinflussung ökologieorientierten Verhaltens: Verkehrsmittelnutzung in einer Region".
Das Kieler Projekt "Identifikation von kognitiven, affektiven und sozialen Faktoren des Umwelthandelns" untersucht die Bedingungen umweltgerechten Verhaltens, eingebettet in ein theoretisches Modell menschlichen Handelns. Dabei werden das Zusammenspiel und die relative Gewichtung unterschiedlicher Bedingungsfaktoren in ihrer Abhängigkeit vom Entwicklungsalter von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen zum Untersuchungsgegenstand gemacht. In einer kombinierten Querschnitts- und Längsschnittstudie mit insgesamt drei Messzeitpunkten wurden an 1.700 Schleswig-Holsteiner und Hamburger SchülerInnen, BerufsschülerInnen und StudentInnen die Motivationsstrukturen und kognitiven Voraussetzungen des Umwelthandelns erfasst.
Zum ersten Messzeitpunkt wurden zunächst die relevanten Variablen über einen schriftlichen Fragebogen erhoben. Zu einem zweiten Messzeitpunkt wurden den SchülerInnen unterschiedliche Verhaltensangebote in den Bereichen Müll, Energie und Verkehr gemacht, um zuverlässige Verhaltensdaten zu erhalten. Nach ca. vier Monaten wurde ein dritter Messzeitpunkt eingeführt, an dem die SchülerInnen ein weiteres Mal befragt wurden. Hier wurden die Variablen der Handlungsauswahlphase erneut erfasst und die Volitionsphase (Umsetzung einer Intention in eine Handlung) retrospektiv beleuchtet, zusätzlich wurden weitere wesentliche Variablen berücksichtigt, um über die internen, kognitiven und affektiven Prozesse der Handlungsregulation hinaus auch externe, soziale Faktoren zu berücksichtigen.
Das zugrunde gelegte integrierte Handlungsmodell beschreibt den Prozess der Handlungsgenese über drei Phasen (Motivierungsphase, Handlungsauswahlphase und Volitionsphase) und ist durch eine zunehmende Konkretisierung gekennzeichnet. Jede der drei Phasen ist dabei durch ganz bestimmte, die Handlung steuernde bzw. begleitende Kognitionen und Affekte gekennzeichnet, die den Prozess der Handlungsentstehung in unterschiedlicher Art und Weise beeinflussen können.
Basierend auf diesem Modell werden mit der Untersuchung (1) unterschiedliche Typen der Motivierung von Umwelthandeln, (2) die differentielle Vorhersagbarkeit verschiedener Arten von Umwelthandeln, (3) die Veränderung von Handlungskognitionen nach erfolgter Handlung sowie (4) die Rolle sozialer Umgebungsfaktoren auf umweltgerechtes Verhalten analysiert. Zur Identifikation der Typen wird das probabilistische Verfahren der Latent Class Analyse benutzt.
Die Ergebnisse sollen Ansatzpunkte für eine adressaten-spezifische Förderung umweltgerechten Verhaltens liefern.
Das Hohenheimer Projekt "Wohlstandskosten und verantwortliches Handeln. Eine experimentelle Studie zur Eignung von Informationen über den Zusammenhang von Umweltschädigung und Wohlstand als Interventionen zugunsten der Verpflichtung zu umweltschonendem Handeln" ermittelt in erster Linie, inwieweit die Informationen zu drei spezifischen Themenkreisen die Wahrnehmung der Wohlstandskosten fördern. Die Informationen beziehen sich 1. auf die Überhöhung des Wohlstands durch Verschwendung der natürlichen Ressourcen, 2. auf die Progression der Wohlstandskosten und 3. auf den Charakter der Umweltschonung als Gemeinschaftsaufgabe.
Diese Themen wurden für zehn Experimente zunächst in kurzen Abhandlungen zusammengefasst. Dann wurden sie zur Veranschaulichung in eine Multivision umgesetzt, d.h. in eine vollautomatische Tonbildschau mit Überblendtechnik. Basierend auf den Abhandlungen zu den drei Themenkreisen wurde dafür ein Drehbuch erstellt, das den Sprechtext und Vorschläge zu seiner Visualisierung durch parallel gezeigte Dias beinhaltet.
Mit insgesamt 392 Untersuchungspersonen wurden dann zehn Experimente immer nach folgendem Schema durchgeführt: Vorher-Befragung, Vorführung der Multivision, Nachher-Befragung mit anschließender Gruppendiskussion. Die Vorher-Befragung umfasste neben den demographischen Angaben die in diesem Handbuch dokumentierten Indikatoren für die Kausalitätsorientierungen (Autonomie-, Kontroll- und Impersonale Orientierung), die pro- bzw. postmateriellen Werthaltungen (Positionalität, Gütergebundenheit, Sozial- und Naturverträglichkeit), die Wahrnehmung der Wohlstandskosten (Ressourcenverschwendung, Progression der Wohlstandskosten, Umweltschonung als Gemeinschaftsaufgabe) sowie das aktuelle umweltschonende Verhalten. Gegenstand der Nachher-Befragung waren zum einen Statement zur Akzeptanz der Informationen, zum anderen erneut die Indikatoren zur Wahrnehmung der Wohlstandskosten sowie ein Indikator für die zukünftigen umweltschonenden Handlungsabsichten.
Diese Experimente zeigten, dass das Konzept der Wohlstandskosten - als gesamtwirtschaftliches, statistisches Konstrukt - der breiten Bevölkerung vermittelbar ist. Die Information über das Ausmaß der Entwertung des Sozialprodukts durch Defensivausgaben, Ressourcenverzehr und Einbußen an Lebensqualität bewirkt, gemessen als Veränderung der Wahrnehmung und Bewertung der Wohlstandskosten bzw. als Veränderung der Handlungsabsichten, eine Reaktion in der Größenordnung von 10 bis 20%.
Das Bochumer Projekt besteht aus zwei Teilprojekten, dem ersten Teilprojekt "Verantwortung und Umweltverhalten" und dem Folgeprojekt "Die Interaktion von ökologischer Normorientierung und situativen Faktoren". Untersuchungsgegenstand des ersten Teilprojekts ist die Analyse des Zusammenhangs zwischen ökologischer Verantwortung und spezifischen Formen des individuellen Umweltverhaltens (Energie- und Pkw-Nutzung). Den theoretischen Hintergrund der Untersuchung bildet die vollständige Übertragung des von Schwartz formulierten Prozessmodells zum altruistischen Verhalten (siehe Abbildung 1) auf den Bereich individueller, umweltverantwortlicher Handlungen. In dem modifizierten Schwartz-Modell (siehe Abbildung 2) steht nicht mehr die Aktivierung einer altruistischen, sondern einer umweltrelevanten, also ökologischen Norm im Zentrum der Erklärung. Es beschreibt den Prozess der Überführung einer allgemein akzeptierten sozialen Norm ("umweltbewusst zu leben") in eine für das Individuum relevante persönliche Norm ("ich sollte umweltbewusst leben"). Es wird angenommen, dass eine Reihe von kognitiven Moderatorvariablen diese Überführung beeinflussen und dass die persönliche ökologische Norm schließlich - unter dem Einfluss von Kosten-Nutzen-Analysen und Rechtfertigungsstrategien - verhaltenswirksam wird.
Abbildung 1. Prozessmodells zum altruistischen Verhalten
Abbildung 2. modifizierten Schwartz-Modell
Die Modellvariablen wurden über einen standardisierten Fragebogen im Rahmen einer telefonischen Befragung mit 240 Personen in Bochum erhoben. Zur Prüfung der Verhaltenswirksamkeit der persönlichen ökologischen Norm wurde anschließend ein vierwöchiger Modellversuch eingeführt, in dem die Untersuchungspersonen ihren privaten Stromverbrauch und ihre individuelle Pkw-Nutzung einschränken sollten. Dabei wurden sowohl objektive Messdaten wie subjektive Verhaltensdaten erfasst. Die Übertragbarkeit des Modells konnte in wesentlichen Teilen bestätigt werden, und es ließen sich zentrale Modellvariablen als Prädiktoren für eine persönliche ökologische Norm identifizieren.
Gegenstand des Folgeprojekts "Die Interaktion von ökologischer Normorientierung und situativen Faktoren" ist die Prüfung der Stabilität dieser Prädiktoren und die Erweiterung des Modells um zusätzliche Bewertungsprozesse. Es wurde eine Mischung aus Feldstudie und Feldexperiment durchgeführt, in der von 203 Personen über einen Zeitraum von vier Wochen das Verkehrsmittelwahlverhalten (ÖPNV-Nutzung vs. Pkw-Nutzung) als abhängige Variable erfasst wurde. Als situative Faktoren wurden der finanzielle Kostenaufwand der ÖPNV-Nutzung und die Haltestellenerreichbarkeit experimentell bzw. quasiexperimentell variiert. Die Untersuchungspersonen wurden in persönlichen standardisierten Interviews zu den Modellvariablen des Norm-Aktivations-Modells (siehe Abbildung 2) befragt. Anschließend wurde ihr Verkehrsmittelwahlverhalten über vier Wochen systematisch (über KONTIV) erfasst.
Die zentralen Ziele des "Verbot, Anreiz oder Bewusstsein? Determinanten und Beeinflussung ökologieorientierten Verhaltens: Verkehrsmittelnutzung in einer Region" waren zum einen die Entwicklung und empirische Testung eines theoretischen Modells zur Erklärung und Vorhersage der individuellen Verkehrsmittelwahl, zum anderen die Evaluation der Wirksamkeit von spezifischen Maßnahmen auf die individuelle Verkehrsmittelwahl und die Analyse der diesen Effekten zugrundeliegenden Kausalprozesse.
Theoretisches Rahmenkonzept des Projekts ist die von Ajzen (1985, 1991) entwickelte Theorie des geplanten Verhaltens TOPB, die sowohl die Wirksamkeit externer Präferenzen und Restriktionen als auch normativer Faktoren auf das Verhalten berücksichtigt. Dabei wurden neben situationsspezifischen Kognitionen auch der Einfluss allgemeiner Einstellungen ("Umweltbewusstsein") auf das Verhalten berücksichtigt und die Beziehung zwischen allgemeinen und spezifischen Einstellungen theoretisch konzeptualisiert. Um den Einfluss spezifischer verkehrspolitischer Maßnahmen auf die Konstrukte der TOPBHotwordStyle=BookDefault; direkter abzubilden, wurde diese durch zusätzliche Brückenannahmen ergänzt. Das entwickelte und getestete Modell lieferte so die Basis für das zweite Ziel des Projekts: die Evaluation des Effekts verkehrspolitischer Maßnahmen auf das Verkehrsmittelnutzungsverhalten.
Im Rahmen einer Längsschnittsstudie (vier Wellen) wurde mittels der erweiterten TOPBHotwordStyle=BookDefault; der Effekt von drei verkehrspolitischen Maßnahmen auf die Verkehrsmittelnutzung von Gießener Studierenden bei Hochschulwegen untersucht. In allen vier Wellen wurden das Mobilitätsverhalten der Studierenden über Wegeprotokolle (Brög und KONTIV, Social Data) und die Konstrukte der TOPB (Ajzen, 1991) erhoben. Bei den drei Maßnahmen handelte es sich um (1) die Einführung eines Semestertickets für die Gießener Studierenden, (2) die Einführung einer neuen Uni-Ringlinie, die zentrale Universitätsstandorte verbindet und (3) die Ausweitung des Gültigkeitsbereichs des Semestertickets auf ganz Mittel- und Südhessen, verbunden mit einer Preiserhöhung. Die Zielsetzungen lagen dabei in der Evaluation der Wirksamkeit der drei Maßnahmen auf die individuelle Verkehrsmittelwahl und der Analyse der diesen Effekten zugrundeliegenden kausalen Prozesse.