Psychosomatische Beschwerden im nichtklinischen Kontext
Rollenkonflikt
Soziale Stressoren am Arbeitsplatz
Work-Family Conflict Scale (ISSP)

Psychosomatische Beschwerden im nichtklinischen Kontext

Autor/in: Mohr, G. & Müller, A.
In ZIS seit: 2004
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Zusammenfassung:

Psychische Befindensbeeinträchtigung und psychosomatische Beschwerden entsprechen dem kognitiv-emotionalen Erleben einer verminderten Lebensqualität als langfristige Folge von alltäglichen und andauernden Stressoren. Theoretische Grundlage für die hier dokumentierte Skala ist das transaktionale, kognitive Stressmodell von Lazarus (1966). Die Skala wurde für einen Einsatz in der betrieblichen gesundheitspsychologischen Forschung und Praxis entwickelt.

Abstract:

Mental impairment and psychosomatic complaints correspond to the cognitive-emotional experience of a reduced quality of life as a long-term consequence of everyday and ongoing stressors. The theoretical basis for the scale documented here is the transactional, cognitive stress model of Lazarus (1966). The scale was developed for use in occupational health psychological research and practice.


Sprache Dokumentation: deutsch
Sprache Items: deutsch
Anzahl der Items: 20
Reliabilität: Cronbachs Alpha = .70 bis .93
Validität: Hinweise auf die konvergente und divergente Validität
Konstrukt: Psychische Befindensbeeinträchtigung
Schlagwörter: Lebensqualität, Stress, Bewertung | quality of life, stress, evaluation
Item(s) in Bevölkerungsumfrage eingesetzt: nein
Skalenentwicklung: validiert

Instruktion

Nutzen Sie die nachfolgenden Antwortmöglichkeiten, um anzugeben, ob bzw. wie oft Sie die folgenden körperlichen Beschwerden bei sich wahrnehmen. Es gibt keine richtigen oder falschen Antworten. Bitte lassen Sie keine Frage aus!

 

Items

Nr.

Item

1

Ermüden Sie schnell?

2

Haben Sie Kopfschmerzen?

3

Spüren Sie es am ganzen Körper, wenn Sie sich über etwas aufregen?

4

Spüren Sie bei geringer Anstrengung Herzklopfen?

5

Bekommen Sie bei geringer körperlicher Anstrengung Atemnot?

6

Haben Sie einen empfindlichen Magen?

7

Haben Sie ein Völlegefühl?

8

Verspüren Sie Schwindelgefühle?

9

Haben Sie Rückenschmerzen?

10

Sind Sie nervös?

11

Haben sie plötzliche Schweißausbrüche?

12

Haben Sie Schmerzen in der Herzgegend?

13

Haben Sie Nackenschmerzen?

14

Haben Sie Schulterschmerzen?

15

Spüren Sie, dass Ihr ganzer Körper verkrampft ist?

16

Haben Sie Sodbrennen?

17

Haben Sie Konzentrationsstörungen?

18

Haben Sie Schlafstörungen (Einschlafschwierigkeiten, Durchschlafstörungen)?

19

Ist Ihnen übel?

20

Fühlen Sie sich den Tag über müde und zerschlagen?

 

Antwortvorgaben

5-stufige Frequenzskalen mit den Benennungen: 1 = nie, 2 = alle paar Monate, 3 = alle paar Wochen, 4 = alle paar Tage, 5 = fast täglich.

 

Auswertungshinweise

Als Antwortformat hat sich die fünfstufige Frequenzskala über verschiedene Stichproben hinweg bewährt, so auch bei an- und ungelernten Beschäftigten. Aufgrund ihrer Eindimensionalität können die Werte der Items aufaddiert und durch die Anzahl der Items dividiert werden. Hohe Werte bedeuten hohe Ausprägungen psychosomatischer Beschwerden.

 

Psychosomatische Beschwerden können unter den Oberbegriff psychische Befindensbeeinträchtigungen eingeordnet werden. Diese entsprechen dem kognitiv-emotionalen Erleben einer verminderten Lebensqualität als langfristige Folge von alltäglichen und andauernden Stressoren (vgl. Mohr, 1986; 1991). Psychische Befindensbeeinträchtigung ist daher nicht gleichzusetzen mit psychischer Krankheit. Theoretische Grundlage für die hier dokumentierte Itembatterie zu psychosomatischen Beschwerden ist das transaktionale, kognitive Stressmodell von Lazarus (1966; Lazarus & Launier, 1981). Nach diesem sind subjektive Bewertungsprozesse für die Stressbewältigung entscheidend. Psychosomatische Beschwerden werden als erlebtes körperliches Unwohlsein aufgrund des spezifischen subjektiven Umgangs mit Stressoren unterschiedlichster Art aufgefasst. Psychosomatische Beschwerden setzen also nicht notwendigerweise physiologische Beeinträchtigungen voraus. Es ist jedoch zu erwarten, dass die langfristige Wirkung von Stressoren zu der Herausbildung manifester psychischer bzw. psychosomatischer Erkrankungen beiträgt (vgl. Schröder, 1996).

Die hier dokumentierte Itembatterie wurde für einen Einsatz in der betrieblichen gesundheitspsychologischen Forschung und Praxis entwickelt. Erhebungen im betrieblichen Kontext erfolgen nicht an Stichproben mit klinisch ausgeprägter Symptomatik, da diese in der Regel mit Arbeitsunfähigkeit einhergeht. Klassische Instrumente der Klinischen Psychologie sollten hier somit nicht verwendet werden. Die Items zu psychosomatischen Beschwerden im nichtklinischen Kontext bieten die Möglichkeit, präventiv, d.h. bevor sich eine psychosomatische Erkrankung herausbildet, einen Interventionsbedarf zu erkennen. Das vorliegende Instrument kann auch als Kriterium zur Maßnahmenevaluation auf Gruppenebene eingesetzt werden.

 

Itemkonstruktion und Itemselektion

Den ursprünglichen Itempool bildeten 20 Items der Beschwerdeliste von Fahrenberg (1975) sowie 7 Items, die auf der Grundlage von Interviews mit Beschäftigten der Stahl- und Elektroindustrie und Expertengesprächen mit Mitarbeitern werksärztlicher Dienste sowie Arbeitswissenschaftlern erstellt worden waren. Aus diesen 27 Items wurden in drei quantitativen Untersuchungen schrittweise alle Items mit einer Trennschärfe von zunächst < .20 und später < .35 ausgeschlossen.

Eine detaillierte Beschreibung der Skalenkonstruktion findet sich in Mohr (1986). Die endgültige Fassung der Skala wurde erstmals von Zapf et al. (1983) dokumentiert.

 

Stichproben

Die erste Anwendung der Skala erfolgte in einer Untersuchung mit 932 männlichen Beschäftigten der Stahl- und Elektroindustrie. (Durchschnittsalter 38 Jahre). Die Stichprobenzusammenstellung basierte auf einer theoretisch geleiteten Arbeitsplatzauswahl in Kombination mit geschichteter Zufallsauswahl. Die Rohdaten aus dieser ersten Erprobung stehen nicht mehr zur Verfügung. Deshalb wurden für die faktoranalytische Prüfung der Dimensionalität der Items die Daten aus einer zweiten Stichprobe herangezogen. Sie umfasst 328 erwerbslose bzw. von unmittelbarer Erwerbslosigkeit bedrohte Personen. 283 von diesen sind männlich. Das durchschnittliche Alter der 328 Befragten beträgt 41 Jahre (s = 9.9). Die Itembatterie wurde über verschiedene Branchen hinweg in einer Reihe weiterer Untersuchungen angewendet (siehe Tabelle 2).

 

Itemanalysen

Eine Hauptkomponentenanalyse (Tabelle 1) führt auf eine Dimension mit einem Eigenwert > 1, der ca. 75 % der Gesamtvarianz der Itemantworten aufklärt . Die Eindimensionalität der Items wird auch durch eine konfirmatorische Faktoranalyse belegt (Chi-Sqare = 512.6, df = 170, GFI = .94,  AGFI = .93, CFI =  .86, RMSEA = .08).

 

Tabelle 1

Mittelwerte, Standardabweichungen, Trennschärfen und Komponentenladungen für die Itembatterie zu Psychosomatischen Beschwerden im nichtklinischen Kontext

Item

Mittelwert1

Standard-abweichung1

Trennschärfe1

Komponenten-ladungen2

01

3.18

1.27

.55

.80

02

2.29

1.09

.53

.89

03

2.58

1.23

.65

.65

04

2.11

1.29

.59

.89

05

1.58

1.03

.50

.91

06

2.01

1.27

.52

.89

07

2.27

1.23

.51

.87

08

1.99

1.09

.60

.94

09

2.81

1.38

.55

.75

10

2.91

1.28

.68

.77

11

2.29

1.34

.55

.88

12

1.88

1.13

.61

.93

13

2.17

1.35

.60

.89

14

2.19

1.33

.58

.90

15

1.96

1.20

.63

.92

16

2.01

1.10

.40

.84

17

2.13

1.03

.58

.92

18

2.51

1.39

.50

.82

19

1.76

.87

.55

.96

20

2.73

1.18

.67

.89

 

2.27

.75

 

 

Anm. 1) Stichprobe 1, N = 924, 2) Stichprobe 2, N = 302.

 

Itemkennwerte

Die Trennschärfen der Items variieren zwischen .40 (Item16) bis .68 (Item 10) und sind somit als zufriedenstellend zu beurteilen. Die Komponentenladungen (Tabelle 1) der Items liegen vor.

 

Reliabilität

Die interne Konsistenz der Items (Tabelle 2) zu psychosomatischen Beschwerden ist nach Cronbachs Alpha zwischen .70 und .93 für verschiedene Stichproben als befriedigend bis sehr gut zu beurteilen.

 

Tabelle 2

Cronbachs Alpha (CA) für die Itembatterie zu psychosomatischen Beschwerden im nichtklinischen Kontext nach verschiedenen Stichproben (N = Stichprobengröße, n = Anzahl Items)

Studie bzw. Literaturquelle 

Stichprobe 

N

n

CA

Bamberg, Rückert & Udris (1986)*

Arbeiter   

930

 

.91

Büssing & Glaser (1993)     

Pflegekräfte

176

17

.89

Dormann, Zapf & Isic (2000) 

Call Center

209

20

.92**

Frese (1985)*               

Arbeiter   

206

 

.89

                            

           

841

 

.92

Frese (1999)                

Arbeiter   

90

16

.89

Frese et al. (1994)         

Verschiedene

463-603

8

.85

Fricewski, Kuhn & Muth (1983)

Verschiedene

43

10

.70

                            

           

106

10

.70

Grebner(2001)               

Verschiedene

35-40

20

.90-.92

Knorz & Zapf (1996)         

Mobbingopfer

50

20

.91

Leitner (1993)              

Verschiedene

261

20

.90

                            

           

227

20

.93

                            

           

222

20

.90

Mohr (1986)                 

Arbeiter   

200

16

.90

Mohr (2000)                 

Arbeiter   

145

20

.91

                            

           

110

20

.92

Semmer, Zapf & Greif (1996); Zapf et al. (1983)

Arbeiter   

932

20

.92

Zapf (1999)                 

Mobbingopfer

251

20

.93

Zapf et al. (1999)          

Pflegekräfte

83

20

.91

                            

Hotelgewerbe

175

20

.91

                            

Call Center

250

20

.92

Anm. * Keine Angabe zur Anzahl der Items, **Spearman-Brown korrigierte Split-half Reliabilität

 

 

Validität

Die konvergente Validität der Items zu psychosomatischen Beschwerden belegen die Ergebnisse einer Längsschnittstudie mit zwei Erhebungszeitpunkten innerhalb von sieben Jahren (Mohr, 2000): Die Beantwortung der Skala ist signifikant positiv (p < .01, N = 145 bzw. 110) assoziiert mit Itembatterien zur Erfassung weiterer psychischer Befindensbeeinträchtigungen, wie Angst (.33; bzw. 55) und Depressivität (.46 bzw.51; vgl. auch Mohr, 1986) sowie einem befürchteten Arbeitsplatzverlust (.43). Zapf et al. (1999) ermittelten konsistent über verschiedene Berufsgruppen positive Zusammenhänge (p < .01, N = 83 - 250) mit emotionaler Erschöpfung (.49 bis .70), Depersonalisation (.33 bis .39), Irritation (.56 bis .62) sowie mit emotionaler Dissonanz in der Arbeit (.35 bis .40). Nach einer Längsschnittstudie von Frese (1999) mit zwei Erhebungszeitpunkten in 1979 und 1981 korrelieren die Angaben zu psychosomatischen Beschwerden signifikant (p <.01, N = 90) mit subjektiv wahrgenommenen psychologischen (.25) und physikalischen Stressoren (.27) sowie Angst (.55) und Depressivität (.39). Zusammenhänge zwischen schlechten Arbeitsbedingungen, definiert über einen zusätzlichen Regulationsaufwand zur Bewältigung von Arbeitsanforderungen, und psychosomatischen Beschwerden weisen ebenfalls eine hohe zeitliche Konstanz von zwei Jahren auf (Leitner, 1993). Es gibt auch Hinweise auf Zusammenhänge mit physiologischen Indikatoren. So berichtet Grebner (2001) positive Zusammenhänge mit systolischem Blutdruck, insbesondere am Ende des Arbeitstages (.37, p < .05, N = 39-40).

Die diskriminante Validität der Items zu psychosomatischen Beschwerden bestätigen negative Korrelationen (p < .01 bzw. p < .05) mit Selbstwertgefühl (-.18 bis  -.28) und Arbeitszufriedenheit (-.30 bis -.50; Zapf et al., 1999) sowie der sozialen Unterstützung durch Vorgesetzte (-23, p <. 5, N = 90; Frese, 1999). Negative Zusammenhänge zeigen sich darüber hinaus mit positiven Affekten (-.22) und Lebenszufriedenheit (-.37; jeweils p < .01; N = 157 - 203; Mohr, 1986).

 

Deskriptive Statistiken

Nach den Daten der ersten Erprobungsstichprobe (N = 932) beträgt der Mittelwert für alle Items zur Erfassung psychosomatischer Beschwerden 2.27, die Standardabweichung beträgt .75, die Schiefe .60 und der Exzess -.13. Die Mittelwerte und Standardabweichungen (Tabelle 1) für die Items liegen vor.

 

Mohr, G. & Müller, A.