Das Grid-Group Paradigma als Gerechtigkeitstheorie

 

Wegener und Liebig (u. a. Wegener & Liebig, 1993, 1995; Wegener, 1999) übertrugen die Ideologietypen von Douglas in Denkstile der Gerechtigkeit beziehungsweise Gerechtigkeitsideologien. Gerechtigkeitsideologien umfassen dabei einen bevorzugten Verteilungsakteur und ein befürwortetes Verteilungsergebnis und beschreiben vier idealtypische, von der Grid- und Group-Dimension abhängige Einstellungen (Abbildung 1), nämlich Askriptivismus, Egalitarismus, Individualismus und Fatalismus.

 

Abbildung 1. Denkstile der Gerechtigkeit

 

Die empirische Gerechtigkeitsforschung geht davon aus, dass Hierarchisten kein Interesse daran haben, die Verantwortung für ungleiche Verteilungsergebnisse zu personalisieren (Thompson et al., 1990, S. 59). Sie sehen die Aufteilung von Gütern und Privilegien als gegeben beziehungsweise überliefert und die gesellschaftliche Stratifikation als wichtigen Ordnungsfaktor an. Veränderung von Verteilungsergebnissen oder der Verteilungsordnung erscheinen ihnen widernatürlich, weshalb sie die gegebenen Ungleichheitsverhältnisse bewahren wollen - unabhängig davon, ob sie für sie nachteilig sind (Wegener, 1999, S. 196). Wegener und Liebig (1993) benennen eine solche hierarchistische Weltsicht als askriptivistische Gerechtigkeitsideologie. Als Egalitarismus bezeichnen sie das Streben nach Verteilungsgleichheit. Da der Markt Ungleichheit erzeugt und die Gesellschaft für die Verteilung von Reichtum und Armut verantwortlich ist, befürworten Egalitaristen staatliche Eingriffe und Korrekturen. Egalitarismus ist deshalb mit etatistischen Einstellungen verbunden (Wegener, 1999, S. 196). Der Individualist ist davon überzeugt, dass sich Einsatz und Leistung lohnen und die Grundlage jeden Erfolges ist. Der Markt bildet die durch unterschiedliche Begabung oder Leistung zustande gekommenen Einkommensunterschiede ab. Die so entstandenen Ungleichheiten sind gerecht und sollten nicht korrigiert werden. Aus Sicht einer individualistischen Gerechtigkeitsideologie ist dementsprechend der Marktwettbewerb das sinnvollste Verteilungssystem (Wegener, 1999, S. 196). Da Isolierte sich der bestehenden Ordnung unumgänglich ausgeliefert sehen, erscheint ihnen die Realisierung eines Verteilungszieles oder die Benennung eines verantwortlichen Verteilungsakteurs als wirklichkeitsfern: "Ihre Gerechtigkeitsideologie besteht in einer resignativen Verneinung von Gerechtigkeit, in Fatalismus" (Wegener, 1999, S. 197, Hervorhebung im Original).