Instruktion
Die vollständige deutsche Version des European Social Survey (ESS) Fragebogens 2002/2003 finden Sie hier. Die Originalfragebögen aller Länder der ersten Runde sind über die ESS Daten Homepage verfügbar. In Klammern sind jeweils die englischen Formulierungen des britischen Quellfragebogens aufgeführt.
- Es gibt Menschen, die nach Deutschland kommen und Asyl beantragen, weil sie in ihrem eigenen Land Angst vor Verfolgung haben. Bitte sagen Sie mir anhand von Liste 40, wie sehr Sie jeder der folgenden Aussagen zustimmen oder wie sehr Sie diese ablehnen.
- Some people come to this country and apply for refugee status on the grounds that they fear persecution in their own country. Card 40. Using this card, please say how much you agree or disagree with the following statements.
Items
Nr. |
Item (deutsch) |
Item (englisch) |
Facette |
D50 |
Während der Prüfung ihrer Asylanträge sollten Asylbewerber eine Arbeitserlaubnis in Deutschland erhalten. |
While their applications for refugee status are being considered, people should be allowed to work in [country]. |
Arbeitserlaubnis
|
D51 |
Bei der Prüfung von Asylanträgen sollte der Staat großzügig sein. |
The government should be generous in judging people’s applications for refugee status. |
Großzügige Antragsprüfung
|
D54 |
Während der Prüfung ihrer Asylanträge sollte der deutsche Staat die Asylbewerber finanziell unterstützen. |
While their cases are being considered, the [country] government should give financial support to applicants. |
Finanzielle Unterstützung
|
D55 |
Asylbewerber, deren Anträge bewilligt wurden, sollten das Recht haben, ihre engen Familienangehörigen nach Deutschland zu holen. |
Refugees whose applications are granted should be entitled to bring in their close family members. |
Familienzusammenführung
|
D49 |
Deutschland hat einen größeren Anteil an Asylbewerbern als ihm gerechterweise zukommt. |
[Country] has more than its fair share of people applying for refugee status |
Anteil Asylbewerber
|
D52 |
Die meisten Asylbewerber befürchten nicht wirklich, in ihrem Heimatland verfolgt zu werden. |
Most applicants for refugee status aren’t in real fear of persecution in their own countries. |
Vorgetäuschte Verfolgung
|
D53 |
Während der Prüfung ihrer Asylanträge müssen Asylbewerber in Auffanglagern interniert werden. |
While their cases are being considered, applicants should be kept in detention centres. |
Auffanglager
|
5-stufige Antwortskala mit Benennung aller Antwortoptionen: 1 = Stimme stark zu (agree strongly), 2 = Stimme zu (agree), 3 = Weder noch (neither agree nor disagree), 4 = Lehne ab (disagree), 5 = Lehne stark ab (disagree strongly)
Zusätzliche Antwortkategorien für Kodierungen durch den Interviewer: "Antwort verweigert" (AV = 7) und "Weiß nicht" (WN = 8).
Auswertungshinweise
In weiteren Studien muss die faktorielle Struktur der Asylbewerberitems auf jeden Fall erneut geprüft werden. Dafür, und ebenso für eine Prüfung theoriebezogener Untersuchungsfragen mit den hier dokumentierten Items wird die Verwendung nichtlinearer Mess- und Strukturmodellanalysen empfohlen. Sollen mehr Länder in entsprechenden Studien berücksichtigt werden, empfiehlt sich ein Einsatz von in neuerer Zeit vorgeschlagenen Multilevel Faktor oder auch Latent Class (LC) Modellen. Sie wurden speziell für die Analyse hierarchisch genesteter Daten wie die hier untersuchten entwickelt. Sie sollen der Tatsache Rechnung tragen, dass solche Daten die allen FA und LC Modellen gemeinsame Annahme verletzen, dass Itembeantwortungen lokal stochastisch unabhängig sind.
Die vorliegende Dokumentation beschreibt psychometrische Merkmale von sieben Items des European Social Survey (ESS), die Haltungen zu asylpolitischen Maßnahmen bzw. Asylbewerbern erfassen sollen. Neben Daten aus Westdeutschland werden dazu auch die aus fünf weiteren europäischen Ländern analysiert (Großbritannien, Italien, Luxemburg, Polen und Schweden).
Die sieben Items wurden unter der Leitung von Ian Preston am University College London als Bestandteil des Moduls "Immigration" entwickelt. Dieses variable, d.h. nicht als fester Bestandteil des ESS konzipierte Modul soll zu einem besseren Verständnis der Determinanten der Meinungsbildung gegenüber Immigranten und ethnischen Minderheiten beitragen. Es beinhaltet sehr differenzierte Fragen zu Einwanderungs- und Asylthemen, u.a. Einstellungen zu, Wahrnehmungen von und Vorurteile gegenüber Zuwanderern sowie Präferenzen der Befragten hinsichtlich der Einwanderungspolitik (vgl. Neller, 2004, S. 378). Die sieben hier dokumentierten Items (D49 - D55) "were designed to address perceptions of genuineness of typical asylum applications and appropriate policy responses" (vgl. European Social Survey, 2004b, S. 7).
Die Konstrukteure erwarten demnach theoretisch Eindimensionalität zumindest von sechs Items (eventuelle Ausnahme D52), die laut Technical Report konstruiert wurden, um Einstellungen zu konkreten Asylpolitikmaßnahmen abzufragen. Plausibel ist dies unserer Meinung nach für fünf Items (D50, D51, D53, D54, D55), die eindeutig Einstellungen zu asylpolitischen Maßnahmen des eigenen Staates erfassen - u.a. die Unterbringung und finanzielle Unterstützung von Asylbewerbern und die Vergabe einer Arbeitserlaubnis an diese. Sie werden deshalb im Folgenden auch als "Asylpolitikitems" bezeichnet. Für Item D49 (Gerechter Anteil Asylbewerber) ist es jedoch fraglich, ob es dieselbe Konstruktfacette erfasst wie die fünf anderen "Asylpolitikitems". Dasselbe gilt für Item D52: Es indiziert offensichtlich keine Haltung zu einer asylpolitischen Maßnahme, sondern ein Urteil über die Wahrheit der Begründung (Verfolgung im Herkunftsland) von Asylanträgen. Beide Items erfassen somit eher allgemeine Einstellungen zu Asylbewerbern und deren Aufnahme ins eigene Land.
Zudem sind diese beiden Items, ebenso wie eines der fünf "Asylpolitikitems" in eine zu der Fragerichtung der übrigen vier Items (konservative Haltungen) entgegengesetzte Richtung (liberale Haltungen) gepolt. Dadurch ist nicht auszuschließen, dass die Antworten zu den sieben Items auch Effekten unterliegen, die durch deren unterschiedliche Polung verursacht werden. Deshalb wird hier ihre faktorielle und externe Validität sowie ihre Messinvarianz nach den Daten aus Westdeutschland und fünf weiteren europäischen Ländern genauer untersucht.
Itemkonstruktion und Itemselektion
Die hier dokumentierte Asylbewerberitembatterie wurde als Bestandteil des Moduls "Immigration" (D1-D58) des European Social Survey (ESS) am University College London entwickelt (Leitung Ian Preston). Ihre sieben erstmals im ESS 2002/2003 verwendeten Items (D49-D55) wurden mit dem Ziel konstruiert, die Wahrnehmungen der Echtheit bzw. Glaubwürdigkeit (genuineness) typischer Asylanträge zu erfassen, sowie die Einstellungen zu einem angemessenen politischen Umgang mit diesen (vgl. European Social Survey, 2004, S. 7). Vergleichbare Items wurden in öffentlich zugänglichen internationalen Umfragen unseres Wissens bisher noch nicht eingesetzt (European Social Survey, 2005, S.12 ff) .
Hier werden nicht nur die Daten aus Westdeutschland analysiert, sondern auch die aus fünf weiteren europäischen Ländern (Großbritannien, Italien, Luxemburg, Polen und Schweden). Ein erstes Problem ergibt sich daraus, dass offensichtlich unterschiedliche Begriffe zur Bezeichnung der durch diese Items angesprochenen Zielgruppe in den Fragebogen verschiedener Länder verwendet wurden. So wurde z.B. im polnischen Fragebogen in Übereinstimmung mit dem britischen Quellfragebogen der Begriff "refugee" (Flüchtlinge) verwendet, während für den deutschen Fragebogen die deutlich engere Bezeichnung "Asylbewerber" gewählt wurde. Somit ist nicht auszuschließen, dass die Items in verschiedenen Ländern abweichend interpretiert werden und deshalb z.T. nicht messinvariant sind.
Fünf Items sollen Einstellungen der Befragten gegenüber verschiedenen asylpolitischen Maßnahmen des eigenen Staates erfassen: Sollten Asylbewerber während der Prüfung ihrer Asylanträge eine Arbeitserlaubnis erhalten (D50), finanziell unterstützt werden (D54), in Auffanglagern interniert werden (D53)? Sollte der Staat bei der Prüfung der Asylanträge großzügig sein (D51) und den Asylbewerbern, deren Anträge bewilligt worden sind, das Recht gewähren, enge Familienangehörige nachzuholen (D55)?
Für vier dieser fünf Items (D50, D51, D54, D55) drücken hohe Antwortwerte eine Befürwortung einer konservativen Asylpolitik und somit allgemein konservative Haltungen aus. Diese für die Mehrzahl der Items gewählte Aussagerichtung wird im Folgenden als Schlüsselrichtung des durch die sieben Items erfassten Konstrukts behandelt. Item D53 ist jedoch entgegen dieser Schlüsselrichtung, d.h. in Richtung liberaler Haltungen formuliert. Einschränkend ist hier in Bezug auf die Begriffe "liberal" bzw. "konservativ" und "Einstellung" anzumerken, dass Item D49 von den Befragten auch als objektive Wissensfrage interpretiert werden kann, die unabhängig von Einstellungen zu Asylbewerbern beantwortbar ist. Dies gilt auch für die beiden übrigen der sieben Items - Item D49 (Deutschland hat einen größeren Anteil an Asylbewerbern als ihm gerechterweise zukommt) und Item D52 (Die meisten Asylbewerber befürchten nicht wirklich, in ihrem Heimatland verfolgt zu werden). Dadurch ist nicht auszuschließen, dass die Antworten zu den sieben Items auch Effekten unterliegen, die durch deren unterschiedliche Polung verursacht werden. Diese beiden Items erfassen nach ihren Aussagen beurteilt zudem offensichtlich eine andere bzw. allgemeinere Einstellungsfacette als die fünf übrigen Items. Item D49 kann darüberhinaus unterschiedlich interpretiert werden. Einerseits als objektive Wissensfrage: In diesem Fall würden Befragte versuchen abzuschätzen, inwieweit ihr Staat unter Berücksichtigung von dessen Aufnahmekapazitäten (z.B. Bevölkerungsgröße, Bruttoinlandsprodukt pro Kopf, Wirtschafts- und Arbeitsmarktlage) eine im Vergleich zu anderen Staaten angemessene Anzahl von Flüchtlingen aufnimmt. Wird dieses Item so interpretiert, dann lässt seine Beantwortung keine eindeutigen Rückschlüsse auf Haltungen gegenüber Asylbewerbern bzw. Asylpolitik zu. Befragte könnten durchaus der Meinung sein, dass ihr Staat im Vergleich zu anderen Ländern einen zu hohen Anteil an Asylbewerbern aufnimmt, aber dennoch vergleichsweise liberale Haltungen zu Asylbewerbern bzw. zur Asylpolitik haben. Wie es vermutlich die Absicht der Konstrukteure dieser Itembatterie war, kann Item D49 aber auch unabhängig von einem Vergleich mit der Aufnahme von Asylbewerbern in andere Staaten als Einstellungsfrage interpretiert werden: Nimmt der eigene Staat eine angemessene Anzahl an Asylbewerbern auf, beurteilt beispielsweise nach den Aufnahmekapazitäten des eigenen Staates (Wirtschafts- und Arbeitsmarktlage) oder der abgeschätzten tatsächlichen Hilfsbedürftigkeit der Asylbewerber? Eventuell wird eine der beiden Interpretationsmöglichkeiten in verschiedenen Ländern u.a. aufgrund abweichender öffentlicher Diskussionen unterschiedlich häufig aktiviert. Eine solche unter den Befragten verschiedener Nationen variierende Aktivierung der beiden Interpretationsmöglichkeiten könnte möglicherweise eine eventuell zu beobachtende unterschiedliche Faktorzugehörigkeit bzw. unterschiedlich starke Faktorladungen für Item D49 in den sechs betrachteten Ländern erklären.
Stichproben
In alle Analysen wurden Daten aus den folgenden sechs Ländern einbezogen: Westdeutschland, Großbritannien, Italien, Luxemburg, Polen und Schweden. In Polen wurden lediglich Personen mit einer dauerhaften Aufenthaltsgenehmigung befragt, in den fünf übrigen Ländern alle Personen ab 15 jahren (ohne Altersobergrenze), die in einem privaten Haushalt lebten, unabhängig von ihrer Nationalität, Staatsbürgerschaft oder Rechtsstellung in ihrem Aufenthaltsland. Die einbezogenen Länder sollten sich hinsichtlich der folgenden Eigenschaften möglichst unterscheiden, da diese die Beantwortung der Items über allgemein kulturell und politisch geprägte Wertvorstellungen und Einstellungen mit beeinflussen können: die Anzahl der jährlichen Asylanträge im Verhältnis zur Einwohneranzahl, die kulturelle Ähnlichkeit der Zuwanderer mit der einheimischen Bevölkerung und die Einwanderungsgeschichte des Landes. Gleichzeitig sollten die berücksichtigten Länder die Mehrheit der übrigen 15 im ESS 2002/2003 befragten Länder repräsentieren.
Von den nach diesen Kriterien ausgewählten sechs Ländern repräsentieren Westdeutschland und Großbritannien europäische Einwanderungsländer mit einer langen Einwanderungsgeschichte. In beide Länder immigrierten bereits in den frühen 1970er Jahren zahlreiche Gastarbeiter, davon die meisten aus Südeuropa. In Großbritannien und Gesamt-Deutschland wurden von 2000 bis 2002 zudem mit Abstand die meisten Asylanträge (Tabelle 1) aller europäischer Länder gestellt.
Anzahl an Asylanträgen 2000-2002 in Gesamtdeutschland (D), Großbritannien (GB), Italien (IT), Luxemburg (LU), Polen (PL), Schweden (SE) und Europa (EUR)
|
Gestellte Asylanträge |
Asylan./1000 Einw. |
|||||
|
2000 |
2001 |
2002 |
Total |
2000 |
2001 |
2002 |
D |
78564 |
88287 |
71127 |
237978 |
1.0 |
1.1 |
0.9 |
GB |
98900 |
92000 |
110700 |
301600 |
1.7 |
1.5 |
1.9 |
IT |
15564 |
9620 |
7281 |
32465 |
0.3 |
0.2 |
0.1 |
LU |
628 |
686 |
1043 |
2357 |
1.4 |
1.6 |
2.4 |
PL |
4589 |
4506 |
5153 |
14248 |
0.1 |
0.1 |
0.1 |
SE |
16303 |
23515 |
33016 |
72834 |
1.8 |
2.7 |
3.7 |
EUR |
461474 |
477678 |
465569 |
1404721 |
0.8 |
0.9 |
0.8 |
Anmerkung. Datengrundlage: UNHCR (2003)
Ostdeutschland hat im Vergleich zu Westdeutschland nicht nur eine strukturell, sondern auch quantitativ unterschiedliche Immigrationsgeschichte. Nach hier nicht näher beschriebenen Faktorenanalysen (FA) schlägt sich diese auch in einer unterschiedlichen faktoriellen Strukturierung der Antworten zu den ESS Asylbewerberitems durch ost- und westdeutsche Befragte nieder. Deshalb wurden nur die Daten der Befragten aus West- und nicht für Gesamtdeutschland in die hier berichteten Analysen einbezogen. Als Prototyp für neue europäische Immigrationsländer wurde Italien einbezogen. Zwar war es lange Zeit vorrangig ein Emigrationsland, entwickelte sich im letzten Jahrzehnt aber primär zu einem Einwanderungsland. Illegale Immigrantengruppen z.B. aus Afrika, die meist über den Seeweg die Grenze überschreiten, bilden für Italien aber auch für andere südeuropäische Länder eine Herausforderung. Schweden unterscheidet sich von den übrigen fünf Ländern durch seinen Status als sozialdemokratischer Wohlfahrtsstaat. Zwischen 2000 und 2002 wies es die höchste Zahl an Asylbewerbern (Tabelle 1) pro 1000 Einwohner unter den sechs untersuchten Ländern auf. Polen wurde als Repräsentant für die ehemals sozialistischen europäischen Länder einbezogen. Charakteristisch für dieses Land ist eine äußerst geringe Anzahl an Asylbewerbern (Tabelle 1), ebenso ein allgemein niedriger Ausländeranteil. Der Ausländeranteil für das wegen seiner Multikulturalität und Vielsprachigkeit ausgewählte Luxemburg betrug im Jahr 2000 37% (OECD, 2003).
In den sechs Ländern wurden insgesamt 10741 Personen (Tabelle 2) befragt.
Anzahl Befragter in der Nettostichprobe (NS), Anzahl und Prozentsatz (%) der aufgrund zu vieler fehlender Werte aus den Analysen ausgeschlossenen Befragten (AB) sowie Anzahl der einbezogenen Befragten (EB) für Westdeutschland (DW) Großbritannien (GB), Italien (IT), Luxemburg (LU), Polen (PL) und Schweden (SE)
|
NS |
AB |
% |
EB |
DW |
1821 |
66 |
3.6 |
1755 |
GB |
2052 |
41 |
2.0 |
2011 |
IT |
1207 |
119 |
9.9 |
1088 |
LU |
1552 |
273 |
17.6 |
1279 |
PL |
2110 |
223 |
10.6 |
1887 |
SE |
1999 |
116 |
5.8 |
1883 |
Summe |
10741 |
838 |
7.8 |
9903 |
Ausgeschlossen wurden die Daten aller Befragten, die weniger als 50% der Asylbewerberitems beantwortet haben oder für die keine Angaben über die zur Validierung herangezogenen Variablen Alter, Geschlecht oder höchster Bildungsabschluss vorliegen. Als fehlende Werte wurden auch "Weiß nicht" Antworten klassifiziert. Dadurch wurden 7,8% (Tabelle 2) aller Beobachtungen aus den sechs Ländern nicht berücksichtigt und die Daten von 9903 Personen analysiert.
Auffällig hoch war der Prozentsatz der auszuschließenden Befragten (Tabelle 2) aus Luxemburg, Polen und Italien. Dies könnte möglicherweise darauf zurückzuführen sein, dass in diesen Ländern die Fragen zu Asylbewerbern besonders sensibel sind. In allen Ländern wurden zudem die drei negativ gepolten Items deutlich häufiger nicht oder mit „weiß nicht“ (Tabelle 3) beantwortet als die positiv gepolten.
Anzahl einbezogener Befragter (EB) aus Westdeutschland (DW), Großbritannien (GB), Italien (IT), Luxemburg (LU), Polen (PL) und Schweden (SE) und Anzahl von gültigen Werten für jedes der sieben Items
|
|
DW |
GB |
IT |
LU |
PL |
SE |
EB |
|
1755 |
2011 |
1088 |
1279 |
1887 |
1883 |
D50 |
Arbeitserlaubnis |
1719 |
1999 |
1074 |
1250 |
1834 |
1870 |
D51 |
Großzügige Antragsp. |
1736 |
1997 |
1064 |
1213 |
1837 |
1845 |
D54 |
finanzielle Unterstütz. |
1739 |
2001 |
1071 |
1252 |
1853 |
1860 |
D55 |
Familienzusammenf. |
1738 |
2005 |
1063 |
1245 |
1858 |
1853 |
D49 |
Anteil an Asylb. |
1636 |
1994 |
838 |
1130 |
1589 |
1775 |
D52 |
vorgetäuschte Verf. |
1618 |
1934 |
925 |
1089 |
1697 |
1628 |
D53 |
Auffanglager |
1718 |
2002 |
1068 |
1220 |
1850 |
1816 |
Genauere Angaben (Tabelle 4) zur Anzahl sowie zum Durchschnittsalter, dem Geschlecht und der Bildung der Befragten aus jedem Land liegen vor.
Häufigkeitsverteilungen für Bildung und Geschlecht; Mittelwerte (M) für Alter und D29 für Befragte aus Westdeutschland, Großbritannien (GB), Italien (IT), Luxemburg (LU), Polen (PL) und Schweden (SE)
|
DW |
GB |
IT |
LU |
PL |
SE |
Alter M |
46.3 |
48.6 |
44.9 |
42.7 |
41.7 |
45.9 |
Valid N |
1755 |
2011 |
1088 |
1279 |
1887 |
1883 |
Bildung |
|
|
|
|
|
|
1* |
--- |
0.1 |
2.9 |
1.3 |
2.2 |
1.1 |
2 |
1.9 |
0.7 |
17.4 |
31.0 |
19.1 |
26.5 |
3 |
14.9 |
55.0 |
33.5 |
13.1 |
31.6 |
19.5 |
4 |
55.6 |
11.9 |
36.0 |
36.1 |
27.8 |
21.6 |
5 |
5.9 |
9.0 |
1.7 |
2.4 |
4.7 |
--- |
6 |
20.5 |
22.4 |
7.3 |
3.4 |
5.1 |
14.9 |
7 |
1.1 |
1.0 |
1.3 |
12.7 |
9.6 |
16.4 |
Valid N |
1755 |
2011 |
1088 |
1279 |
1887 |
1883 |
Geschlecht: weiblich |
51.9 |
53.1 |
53.1 |
51.0 |
50.3 |
48.5 |
Valid N |
1755 |
2011 |
1088 |
1279 |
1887 |
1883 |
D29 M |
5.00 |
4.54 |
4.51 |
5.74 |
5.26 |
6.17 |
Valid N |
1695 |
1987 |
1056 |
1165 |
1762 |
1842 |
Anmerkung. *1 = Not completed primary education; 2 = Primary or first stage of basic 3 = Lower secondary or second stage of basic; 4 = Upper secondary; 5 = Post secondary, non-tertiary; 6 = First stage of tertiary; 7 = Second stage of tertiary
Durchführung der Studie
An der ersten Welle des European Social Survey (ESS) von September 2002 bis Dezember 2003 nahmen 22 Nationen und insgesamt 42359 Befragte teil. Alle Interviews wurden persönlich-mündlich durchgeführt. In den sechs berücksichtigten Ländern wurden unterschiedliche Stichprobendesigns angewendet. Dieses Vorgehen wird im Final Report des ESS unter Bezugnahme auf Kish (1994, S. 173) folgendermaßen begründet: "Sample designs may be chosen flexibly and there is no need für similarity of sample designs. Flexibility of choice is particularly advisable for multinational comparisons, because the sampling resources differ greatly between countries. All this flexibility assumes probability selection methods: known probabilities of selection for all population elements."
Sie beendeten ihre Feldphase (Tabelle 5) zwischen Dezember 2002 (Polen, Schweden) und August 2003 (Luxemburg). Die Ausschöpfungsquote (Tabelle 5) für diese Länder variieren zwischen ca. 44% (Luxemburg, Italien) und 73% (Polen).
Anzahl Befragter in der Nettostichprobe (NS), Ausschöpfungsquoten (AQ) und Zeitraum der Feldphase für Westdeutschland (DW) Großbritannien (GB), Italien (IT), Luxemburg (LU), Polen (PL) und Schweden (SE)
|
NS |
AQ(%) |
Feldphase |
DW |
1821 |
55.7 |
20.11.02-16.05.03 |
GB |
2052 |
55.5 |
24.09.02-04.02.03 |
IT |
1207 |
43.7 |
13.01.03-30.06.03 |
LU |
1552 |
43.9 |
14.04.03-14.08.03 |
PL |
2110 |
73.2 |
30.09.02-19.12.02 |
SE |
1999 |
69.5 |
23.09.02-20.12.02 |
Variablen und Auswertungsmethode
Die Asylbewerberitems wurden mit 5-kategorialen Antwortskalen vorgegeben. Die Antworten zu den meisten von ihnen sind zudem schief verteilt. Deshalb wurden keine linearen Faktorenanalysen (FA) durchgeführt, da diese kontinuierlich verteilte manifeste Indikatoren und lineare Assoziationen zwischen Items und ihnen zugrunde liegenden Personenmerkmalen (latenten Variablen) voraussetzen. Stattdessen wurde eine Klasse nichtlinearer Modelle eingesetzt, die speziell für eine angemessene Berücksichtigung der Verteilungsmerkmale binärer und ordinaler Daten entwickelt wurde und die mit Mplus (Muthén & Muthén, 2007; vgl. http://www.statmodel.com) in einem verallgemeinerten Strukturgleichungsmodellierungsansatz (SEM) spezifiziert werden kann: Das 2 Parameter Normalogiven Item Response Theorie (IRT) Modell. Dieses analysiert auf der Basis der beobachteten Antwortkovarianz geschätzte tetrachorische Korrelationen (zsf. Glöckner-Rist & Hoijtink, 2003). Alle Ergebnisse wurden mit einem robusten mittelwerts- und varianzadjustierten Weighted Least Squares (WLS) Schätzer (WLSMV) ermittelt. Im Vergleich zum traditionellen WLS Schätzer führt er bei großen Stichprobenumfängen zu stabileren und weniger inflationierten Parameterschätzungen (vgl. Flora & Curran, 2004, 473).
Aus methodischen und inhaltlichen Gründen könnte insbesondere Item D52 und möglicherweise auch Item D49 andere Aspekte der Einstellungen zu Asylbewerbern bzw. zur Asylpolitik erfassen als die fünf "Asylpolitikitems". Einschränkend ist hier in Bezug auf die Begriffe "liberal" bzw. "konservativ" und "Einstellung" anzumerken, dass Item D49 von den Befragten auch als objektive Wissensfrage interpretiert werden kann, die unabhängig von Einstellungen zu Asylbewerbern beantwortbar ist. Denkbar ist auch, dass alle gegen die Schlüsselrichtung formulierten Items das Antwortverhalten zusätzlich und unerwünscht beeinflussen, also auch das theoretisch als "Asylpolitikitem" zu klassifizierende Item D53.
Deshalb wurde zunächst mit einer explorativen FA (EFA) der Daten aller Befragter (N = 9903) die faktorielle Stuktur der sieben Items geprüft. In einem zweiten Schritt wurden dabei identifizierte mögliche plausible Lösungen mit konfirmatorischen FA (CFA) für jedes der sechs Länder weiterführend untersucht. Zur Prüfung der externen Validität (Abbildung 1) wurden in einem dritten Schritt das Alter, der höchste erreichte Bildungsabschluss und das Geschlecht als Kovariate bzw. Prädiktoren in das jeweils für jedes Land akzeptierte Messmodell einbezogen sowie ein weiteres Item des European Social Survey (ESS; D29 ), welches Einstellungen zu den Konsequenzen von Zuwanderung im Allgemeinen erfasst. D29: Wird Deutschland durch Zuwanderer zu einem schlechteren oder besseren Ort zum Leben? Antwortskala: 11-stufige Ratingskala (0 -10) mit Benennung der Endpole 0 = "Wird zu einem schlechteren Ort zum Leben" und 10 = "Wird zu einem besseren Ort zum Leben" (D29 Is [country] made a worse or a better place to live by people coming to live here from other countries? Antwortskala: 11-stufige Ratingskala (0 -10) mit Benennung der Endpole 0 = "Worse place to live" und 10 = "Better place to live")
Abbildung 1. Prüfung der externen Validität
Für die Beurteilung der allgemeinen Modellpassung werden die üblichen Angaben zur Chi-Quadrat Teststatistik angeführt, obwohl sie wegen ihrer hohen Teststärke bei Stichprobengrößen wie den hier berücksichtigten zu häufig eine Ablehnung von Modellen nahelegt (vgl. u. a. Bollen, 1989). Die Modellbeurteilungen erfolgten deshalb vorrangig gestützt auf deskriptive Anpassungsmaße: Den Comparative Fit Index (CFI), den Tucker Lewis Index (TLI) und den Root Mean Square Error of Approximation (RMSEA). Nach allgemein üblichen Entscheidungskriterien sprechen Werte von >.90 bzw. >.95 der ersten beiden Indices sowie Werte des RMSEA von < .10 bzw. < .06 für eine akzeptable bzw. gute Passung (vgl. u. a. Bollen, 1989). Alle Testungen hierarchisch genesteter Modelle erfolgten mit einem von Mplus zur Verfügung gestellten Chi-Quadrat Differenzentest, der korrigierend berücksichtigt, dass Differenzen von mit adjustierten Schätzern wie dem WLSMV ermittelte Chi-Quadrat Werte selbst nicht Chi-Quadrat verteilt sind.
Datenaufbereitung
Fehlende Werte (Tabelle 3) einschließlich von "Weiß nicht" Antworten in den beibehaltenen Daten der 9903 Befragten wurden mit einem von Mplus zur Verfügung gestellten Imputationsalgorithmus ersetzt. Er basiert auf Annahmen (missing at random) und statistischen Verfahren (EM-Schätzung) von Little und Rubin (1987; vgl. Muthén & Muthén, 2007).
Itemanalysen
Nach einer zunächst durchgeführten nichtlinearen explorativen Faktorenanalyse (EFA) der Antworten aus allen sechs Ländern zu den sieben Items passt ein eindimensionales Modell (Tabelle 6) nach allen drei deskriptiven Anpassungsindizes (χ²(12) = 2423.5, CFI = .83, TLI = .85, RMSEA = .14) nicht zu den Daten.
Standardisierte Faktorladungen nach einer EFA mit einem und zwei Faktoren (2 Parameter Normalogiven IRT Modelle mit WLSMV-Schätzung und Geominrotation) für alle Items und Länder (N = 9903)
|
1 Dim |
2 Dim |
||
Items |
F1 |
FPro |
FKon |
|
D50 Arbeitserlaubnis |
.53 |
.46 |
-.12 |
|
D51 Großzügige Antragsp. |
.66 |
.68 |
-.03 |
|
D54 finanzielle Unterst. |
.58 |
.61 |
.01 |
|
D55 Familienzusammenf. |
.60 |
.67 |
.04 |
|
D49 ger. Anteil Asylb. |
-.61 |
-.30 |
.44 |
|
D52 vorgetäuschte Verf. |
-.50 |
.00 |
.74 |
|
D53 Auffanglager |
-.33 |
-.01 |
.45 |
|
Eigenwerte |
2.8 |
1.1 |
||
Std. Faktorkorrelation |
|
-.49 |
||
Die Eigenwerte (2.8; 1.1; .9) legen zudem ein zweidimensionales Modell (Tabelle 6) nahe. Nach einem RMSEA von .12 und einem TLI von .89 (χ²(8) = 1172.8, CFI = .92) erklärt jedoch auch dieses die Antwortkovarianz unzureichend. Ein dreidimensionales Modell erzielt keine Konvergenz. Die Extraktion eines dritten Faktors entspräche danach einer dimensionalen Überspezifikation.
Die unzureichende Passung des eindimensionalen Modells ist u.a. darauf zurückzuführen, dass sich insbesondere Item D53 nur unzureichend in eine einfaktorielle Struktur einpasst. Nach dem zweidimensionalen EFA Modell (Tabelle 6) liegt den vier positiv und drei negativ gepolten Items jeweils eine eigene Dimension zugrunde, die im Folgenden als Pro- bzw. Kontra-Faktor bezeichnet werden. Die beiden Faktoren korrelieren moderat negativ (-.49). Die Interpretation des Kontra-Faktors ist jedoch unklar: Zwei der mit ihm assoziierten negativ gepolten Items thematisieren anders als alle vier positiv gepolten Items nicht (D52) bzw. nicht eindeutig (D49) Einstellungen zu einer bestimmten politischen Maßnahme gegenüber Asylbewerbern . Hier wird der Begriff "Asylbewerber" aus dem deutschen Fragebogen verwendet, obwohl er wegen einer Übersetzung des im Quellfragebogen verwendeten Begriffs "refugee" in andere Sprachen mit "Flüchtling" nicht in allen Ländern verwendet wurde. Das dritte Item D53 des Kontra-Faktors erfragt aber ebenso wie die vier Items des Pro-Faktors Einstellungen zur Asylpolitik. Deshalb erscheint es zunächst verwunderlich, dass es nicht mit dem Pro-Faktor assoziiert ist. Seine Assoziation mit dem Kontra-Faktor ist eher schwach (.45). Deshalb ist es auf der Basis der Gesamtdaten als wenig reliabel bzw. formal valide zu beurteilen. Ein gemeinsames und gegenüber den Pro-Faktor Items erkennbares distinktives Merkmal der drei Kontra-Faktor Items ist somit lediglich ihre negative Polung. Eine semantische Gemeinsamkeit und Distinktheit ist lediglich für die Items D49 und D52 gegeben, d.h. Aussagen über Asylbewerber statt zur Asylpolitik. Somit ist nicht auszuschließen, dass die zweidimensionale Strukturierung auch oder vorrangig Beantwortungseffekte reflektiert, die durch die unterschiedliche Polung der Items hervorgerufen werden und nicht oder nachrangig durch deren Zugehörigkeit zu einer anderen Asylbewerber Einstellungsfacette. Können diese Beobachtungen durch CFA der Daten aus den einzelnen Ländern verifiziert werden? Eine eindimensionale Lösung (Tabelle 7) für alle sieben Items ist in Übereinstimmung mit den Ergebnissen der EFA für Italien, Luxemburg und Polen eindeutig abzulehnen (Tabelle 8).
Standardisierte Faktorladungen der ein- und zweidimensionalen CFA-Modelle getrennt nach Westdeutschland (DW; N = 1755), Großbritannien (GB; N = 2011), Italien (IT; N = 1088), Luxemburg (LU; N = 1279), Polen (PL; N = 1887) und Schweden (SE; N = 1883) mit 7 Items
|
|
|
D50 |
D51 |
D54 |
D55 |
D49 |
D52 |
D53 |
Faktor- interkorr. |
DW |
1dim |
|
.46 |
.74 |
.57 |
.68 |
-.67 |
-.70 |
-.57 |
|
|
2dim |
FPro |
.47 |
.76 |
.58 |
.69 |
|
|
|
-.91 |
|
|
FKon |
|
|
|
|
.69 |
.72 |
.59 |
|
GB |
1dim |
|
.63 |
.70 |
.59 |
.62 |
-.71 |
-.58 |
-.66 |
|
|
2dim |
FPro |
.65 |
.72 |
.64 |
.65 |
|
|
|
-.83 |
|
|
FKon |
|
|
|
|
.76 |
.61 |
.71 |
|
IT |
1dim |
|
.64 |
.71 |
.70 |
.69 |
-.29 |
-.19 |
-.42 |
|
|
2dim |
FPro |
.64 |
.72 |
.70 |
.69 |
|
|
|
-.53 |
|
|
FKon |
|
|
|
|
.48 |
.37 |
.67 |
|
LU |
1dim |
|
.47 |
.49 |
.56 |
.52 |
-.17 |
-.09 |
-.15 |
|
|
2dim |
FPro |
.48 |
.50 |
.56 |
.52 |
|
|
|
-.14 |
|
|
FKon |
|
|
|
|
.88 |
.45 |
.13 |
|
PL |
1dim |
|
.42 |
.64 |
.70 |
.55 |
-.21 |
-.10 |
.54 |
|
|
2dim |
FPro |
.42 |
.63 |
.69 |
.54 |
|
|
.64 |
-.31 |
|
|
FKon |
|
|
|
|
.75 |
.38 |
.27 |
|
SE |
1dim |
|
.41 |
.73 |
.48 |
.65 |
-.71 |
-.65 |
-.55 |
|
|
2dim |
FPro |
.41 |
.76 |
.49 |
.70 |
|
|
|
-.90 |
|
|
FKon |
|
|
|
|
.74 |
.67 |
.57 |
|
Anmerkung. FPro = Pro-Faktor; FKon = Kontra-Faktor
Tabelle 8
Werte für die Anpassung eines ein- und zweidimensionalen CFA Modells sowie eines CTCM Modells an die Antworten zu den sieben Items für Befragte aus Westdeutschland (DW; N=1755), Großbritannien (GB; N=2011), Italien (IT; N=1088), Luxemburg (LU; N=1279), Polen (PL; N=1887) und Schweden (SE; N=1883)
|
χ² |
df |
CFI |
TLI |
RMSEA |
1dim |
|
|
|
|
|
DW |
229.7 |
13 |
.94 |
.96 |
.10 |
GB |
365.6 |
13 |
.91 |
.95 |
.12 |
IT |
518.3 |
11 |
.67 |
.73 |
.21 |
LU |
389.9 |
13 |
.57 |
.47 |
.15 |
PL |
459.9 |
12 |
.80 |
.79 |
.14 |
SE |
245.8 |
13 |
.93 |
.95 |
.10 |
2dim |
|
|
|
|
|
DW |
197.5 |
12 |
95 |
.96 |
.09 |
GB |
194.6 |
12 |
96 |
.97 |
.09 |
IT |
452.4 |
11 |
72 |
.77 |
.19 |
LU |
148.8 |
12 |
84 |
.79 |
.09 |
PL |
190.0 |
10 |
92 |
.90 |
.10 |
SE |
214.0 |
12 |
94 |
.95 |
.10 |
CTCM |
|
|
|
|
|
DW |
48.7 |
6 |
.99 |
.98 |
.06 |
GB |
56.3 |
7 |
.99 |
.99 |
.06 |
IT |
28.3 |
5 |
.99 |
.97 |
.07 |
LU |
34.9 |
6 |
.97 |
.91 |
.06 |
PL |
50.0 |
6 |
.98 |
.96 |
.06 |
SE |
31.7 |
6 |
.99 |
.99 |
.05 |
2dim + 4 Kovariate |
|||||
DW |
216.4 |
29 |
.96 |
.97 |
.06 |
GB |
348.6 |
29 |
.94 |
.96 |
.07 |
IT |
418.6 |
26 |
.81 |
.80 |
.12 |
LU |
184.8 |
29 |
.86 |
.80 |
.07 |
PL |
248.1 |
28 |
.92 |
.90 |
.07 |
SE |
339.3 |
29 |
.93 |
.94 |
.08 |
Für Westdeutschland, Schweden und Großbritannien erreicht sie jedoch eine akzeptable Passung nach dem CFI und TLI, nicht aber nach dem RMSEA. Nur in diesen Ländern sind außerdem die drei negativ gepolten Items (D49, D52, D53) mit dem Faktor für alle sieben Items zufriedenstellend hoch assoziiert. In Luxemburg sind die entsprechenden Faktorladungen schwach negativ. Dies gilt auch für Italien und Polen für die Items D49 und D52. Item D53 ist in diesen beiden Ländern zwar jeweils substanziell mit diesem einem Faktor assoziiert (-.42 bzw. .54), in Polen im Unterschied zu allen anderen Ländern aber positiv statt negativ.
Nach Chi-Quadrat Differenzentests erklärt ein zweidimensionales CFA Modell mit jeweils einem eigenen Faktor für die vier positiv und die drei negativ gepolten Items (Pro- vs. Kontra-Faktor) die Antwortzusammenhänge in allen sechs Ländern besser als das eindimensionale Modell. Diese zweifaktorielle Lösung ist für Westdeutschland und Großbritannien nach allen drei Anpassungswerten akzeptabel (Tabelle 8) und für Schweden nach dem CFI und TLI. In Polen konvergiert dieses Modell jedoch nur, wenn Item D53 (Tabelle 7) anders als für alle übrigen Länder nicht nur dem Kontra-, sondern auch dem Pro-Faktor zugeordnet wird. Nur mit letzterem ist es in zufriedenstellender Höhe assoziiert, in Übereinstimmung mit den Ergebnissen der eindimensionalen CFA jedoch nicht negativ sondern positiv.
Bereits die eindimensionale CFA legte nahe, dass speziell Item D53 in den sechs Ländern offensichtlich unterschiedlich interpretiert bzw. teilweise sogar konträr beurteilt wird. Die zweidimensionalen Lösungen bestätigen diese Beobachtung und verdeutlichen worauf sie zurückzuführen ist: Item D53 (Tabelle 7) ist in Luxemburg deutlich schwächer mit dem Kontra-Faktor assoziiert als in den übrigen Ländern, ordnet sich in Polen vorrangig dem Pro- statt dem Kontra-Faktor zu und korreliert dort positiv statt negativ mit dem Pro-Faktor. D.h., wenn sich die Befragten durch die Beantwortung der Items D50, D51, D54 und D55 tendenziell für eine liberale bzw. konservative Asylpolitik aussprechen, wird das "Auffanglageritem" (D53) in Polen tendenziell konträr dazu, d.h. eher konservativ bzw. liberal, beantwortet. Statt dieses entgegengesetzten Zusammenhangs ist für alle übrigen Länder ein theoretisch zu erwartender gleichgerichteter zu beobachten, d.h. eine Tendenz zu einer konservativen bzw. liberalen Beantwortung der ersten vier Items geht in diesen mit einer Tendenz einher, Item D53 ebenfalls konservativ bzw. liberal zu beurteilen. Offensichtlich erfassen die drei negativ gepolten Items also primär oder zusätzlich andere Konstrukt- und Methodeneinflüsse als die vier positiv gepolten Items zur Asylpolitik.
Finden wir weitere Evidenz, dass die zweidimensionale Lösung auch oder primär Einflüsse der entgegengesetzten Itemkodierung widerspiegelt und dies eventuell in unterschiedlicher Weise in den verschiedenen Ländern? Um diese Frage zu beantworten, wurde eine Variante des sogenannten correlated-traits correlated-methods (CTCM, Abbildung 2) Modells eingesetzt.
Abbildung 2. Correlated-traits correlated-methods
Sie spezifiziert für eine Prüfung von Instrumenten, die theoretisch nur eine Konstruktdimension erfassen sollen, aber für die empirisch zwei Faktoren beobachtet werden, jeweils drei hypothetische Faktoren: Der erste soll das allen Items gemeinsame Konstrukt repräsentieren und deshalb mit allen Items ungeachtet ihrer Polung zumindest moderat assoziiert sein. Zwei weitere sogenannte "Methodenfaktoren" sollen jeweils potenzielle zusätzliche spezifische Effekte erfassen, die die Polung der Items auf das Antwortverhalten ausüben könnte. Einer dieser Faktoren (Pro-Methodenfaktor) wird deshalb als nur mit den positiv gepolten, der zweite als nur mit den negativ gepolten Items (Kontra-Methodenfaktor) assoziiert spezifiziert. Die beiden Methodenfaktoren dürfen untereinander, aber nicht mit dem ersten Konstruktfaktor korrelieren, da sie von diesem unabhängige Einflüsse erfassen sollen. Im Unterschied zum konventionellen CTMC Modell spezifiziert diese Variante nur einen Konstrukt-Faktor, nimmt aber ebenfalls an, dass die beobachtete Antwortkovarianz auf dem gemeinsamen Einfluss von Konstruktausprägungen, Polungs- bzw. Methodeneffekten und unerklärter weiterer unsystematischer oder systematischer Effekte beruht. Sie wurde z.B. von Marsh (1996) und Tomás und Oliver (1999) eingesetzt, um mögliche Polungs-Faktoren (keying factors) zu identifizieren, die durch die entgegengesetzte Polung der Items der Rosenberg Self Esteem Scale (SEQ) hervorgerufen worden sein könnten.
Ein entsprechend für die sieben Asylbewerberitems spezifiertes CFA Modell (Tabelle 8) passt gut bis sehr gut zu den Daten aus allen sechs Ländern. Entgegen den Annahmen dieses Modells repräsentiert jedoch in allen Ländern außer Polen der gemeinsame Faktor (Tabelle 9) offensichtlich Einflüsse zusätzlicher Faktoren statt der hier untersuchten Konstrukteinflüsse.
Tabelle 9
Standardisierte Faktorladungen und Faktorinterkorrelationen (FI) eines CTCM Modells nach den Daten aus Westdeutschland (DW; N = 1755), Großbritannien (GB; N = 2011), Italien (IT; N = 1088), Luxemburg (LU; N = 1279), Polen (PL; N = 1887) und Schweden (SE; N = 1883) mit 7 Items (Link ABB
|
|
|
D50 |
D51 |
D54 |
D55 |
D49 |
D52 |
D53 |
FI |
DW |
F1 |
cF |
.05 |
-.09 |
-.25 |
-.06 |
.35 |
.25 |
-.56 |
|
|
F2 |
mFPro |
.48 |
.76 |
.56 |
.69 |
|
|
|
-.86 |
|
F3 |
mFKon |
|
|
|
|
.67 |
.70 |
.77 |
|
GB |
F1 |
cF |
.51 |
.27 |
.09 |
.12 |
-.06 |
-.19 |
-.49 |
|
|
F2 |
mFPro |
.50 |
.68 |
.63 |
.66 |
|
|
|
-.83 |
|
F3 |
mFKon |
|
|
|
|
.83 |
.59 |
.56 |
|
IT |
F1 |
cF |
.68 |
-.01 |
.08 |
.33 |
.11 |
.12 |
-.54 |
|
|
F2 |
mFPro |
.46 |
.83 |
.71 |
.59 |
|
|
|
-.38 |
|
F3 |
mFKon |
|
|
|
|
.70 |
.52 |
.43 |
|
LU |
F1 |
cF |
.13 |
-.12 |
-.15 |
.06 |
.90 |
.35 |
-.36 |
|
|
F2 |
mFPro |
.52 |
.48 |
.54 |
.54 |
|
|
|
-.16 |
|
F3 |
mFKon |
|
|
|
|
.44 |
.21 |
.93 |
|
PL |
F1 |
cF |
.27 |
.50 |
.74 |
.47 |
-.18 |
-.05 |
.65 |
|
|
F2 |
mFPro |
.45 |
.54 |
.06 |
.25 |
|
|
|
-.26 |
|
F3 |
mFKon |
|
|
|
|
.57 |
.48 |
.24 |
|
SE |
F1 |
cF |
-.15 |
.41 |
.37 |
.47 |
-.52 |
-.44 |
.04 |
|
|
F2 |
mFPro |
.61 |
.64 |
.34 |
.50 |
|
|
|
-.80 |
|
F3 |
mFKon |
|
|
|
|
.55 |
.51 |
.76 |
|
Das Umgekehrte gilt für die Pro- und Kontra-Faktoren potenzieller Zusatzeinflüsse: In Westdeutschland sind alle positiv und negativ gepolten Items jeweils deutlich stärker mit ihrem Pro- bzw. Kontra-Faktor assoziiert als mit dem allen Items gemeinsamen Faktor. Mit Ausnahme von jeweils nur einem bzw. zwei Item(s) gilt dies auch für Großbritannien und Schweden bzw. Italien und Luxemburg. Item D50 korreliert in Großbritannien fast identisch mit dem Pro- und dem allgemeinen Faktor. In Italien korreliert dieses und auch Item D53 geringer mit dem Methoden- als mit dem allgemeinen Faktor. In Schweden ist Item D54 schwächer mit dem Pro- als dem allgemeinen Faktor assoziiert und die Items D55 und D49 sind ähnlich hoch mit dem allgemeinen wie mit dem Pro- bzw. Kontra-Faktor assoziiert. Die Items D49 und D52 korrelieren beide stärker mit dem allgemeinen als mit dem Kontra-Faktor, die fünf weiteren Items jedoch alle deutlich stärker mit dem Methoden- als mit dem allgemeinen Faktor. In Polen haben demgegenüber drei Items (D53, D54, D55) nur einen oder einen stärkeren, ein weiteres Item (D51) einen vergleichbar starken Zusammenhang mit dem gemeinsamen statt mit dem Pro- oder Kontra-Faktor.
Nach diesen Beobachtungen reflektieren die Antworten zu den positiv und negativ gepolten Items also unterschiedliche Einflüsse. Nur die beiden Items D49 und D52, aber nicht das dritte negativ gepolte Item D53 erfassen nach theoretischer Beurteilung eine andere bzw. allgemeinere Facette von Einstellungen zu Asylbewerbern als die übrigen Items, die asylpolitische Maßnahmen thematisieren. Dennoch ordnet sich Item D53 in allen Ländern außer Polen mit den Items D49 und D52 dem Kontra-Faktor zu. Danach repräsentiert dieser nicht nur Einflüsse einer zweiten bzw. allgemeineren Einstellungsfacette sondern auch konfundierende und spezifische Einflüsse, die offensichtlich durch die Polung , andere Formulierungsbesonderheiten oder eventuell auch durch funktionale Dependenzen der drei negativ gepolten Items aktiviert werden.
Die Residuenkorrelationen nach allen geprüften Modellen legen zudem übereinstimmend nahe, dass auch die Antworten zu den vier positiv gepolten Items in verschiedenen Ländern noch durch spezifische Interpretationsmuster für verschiedene Itempaare mit beeinflusst werden: In Großbritannien, Italien und Schweden sind jeweils die Residuen der Items D50 und D53 substanziell negativ assoziiert (-.18, -.46, -.22) sowie in Luxemburg die von Item D50 und Item D49 (-.36). In Polen korrelieren demgegenüber die Residuen der Items D53 und D54 positiv (.38) und in Westdeutschland die der Items D49 und D52 (.35). Die Zulassung dieser Residuenkorrelationen verbessert die Modellpassung jeweils deutlich.
Itemkennwerte
Die Faktorladungen (Tabelle 7) aus ein- und zweidimensionalen CFA der Daten aus sechs europäischen Ländern liegen vor. Danach sind insbesondere die negativ gepolten Items (D49, D52, D53) aber auch das positiv gepolte Item D50 übereinstimmend in mehreren Ländern wenig formal valide bzw. reliabel. Zudem ist offensichtlich die Validität insbesondere der Antworten zu den drei negativ gepolten Items durch ihre Polung und weitere Formulierungs- bzw. Übersetzungseigenheiten so beeinträchtigt, dass sie in der hier dokumentierten Form in weiteren Untersuchungen nicht mehr eingesetzt werden sollten.
Reliabilität
Nach den Faktorladungen (Tabelle 7) aus ein- und zweidimensionalen CFA der Daten aus sechs europäischen Ländern sind insbesondere die negativ gepolten Items (D49, D52, D53) aber auch ein positiv gepoltes Item (D50) wenig formal valide bzw. reliabel.
Validität
Die Antworten zu den sieben Asylbewerberitems werden offensichtlich mindestens durch zwei Faktoren systematisch beeinflusst. Deshalb wurden zur Prüfung der Validität (Abbildung 1) der durch das zweidimensionale CFA Modell postulierten beiden Faktoren Alter, Bildung und Geschlecht als Kovariate bzw. Prädiktoren einbezogen. Zusätzlich wurde ein weiteres ESS Item aus dem European Social Survey (ESS; D29 ) als Prädiktor berücksichtigt. Es soll die Einstellung zu Zuwanderung im Allgemeinen erfassen und erfragt dazu mit einem elf-stufigen Antwortformat, ob Zuwanderer die Lebensqualität im Aufnahmeland verschlechtern oder verbessern. Nina Rother (2005: 113) ordnet es einem Faktor "effects of immigration on the host country" zu. Für dieses Item wurde simultan geprüft (Abbildung 1) , ob seine Beantwortung durch das Alter, die Bildung oder das Geschlecht der Befragten bedeutsam beeinflusst wird. Die Ergebnisse (Tabelle 10) dieser Modellanalyse zeigen:
Standardisierte Regressionskoeffizienten für die Kovariaten Alter, Bildung, Geschlecht und Item D29 nach einer eindimensionalen CFA (2 Parameter Normalogiven IRT Modelle/WLSMV-Schätzung) der Daten aus Westdeutschland (DW; N = 1755), Großbritannien (GB; N = 2011), Italien (IT; N = 1088), Luxemburg (LU; N = 1279), Polen (PL; N = 1887) und Schweden (SE; N = 1883)
|
|
D29 |
Bild. |
Geschl. |
Alter |
DW |
D29 |
|
.21** |
.03 |
-.17** |
|
FPro |
-.61** |
-.02 |
-.06* |
.04 |
|
FKon |
.61** |
.16** |
.10** |
-.17** |
GB |
D29 |
|
.28** |
-.04 |
-.09** |
|
FPro |
-.68** |
-.05* |
-.05* |
-.03 |
|
FKon |
.59** |
.10** |
.07* |
-.17** |
IT |
D29 |
|
.11** |
.02 |
.02 |
|
FPro |
-.29** |
-.12** |
-.05 |
-.11** |
|
FKon |
.29** |
.26** |
-.06 |
.03 |
LU |
D29 |
|
.10** |
-.04 |
.02 |
|
FPro |
-.32** |
-.09** |
-.06 |
-.09* |
|
FKon |
.23** |
.15** |
.02 |
-.19** |
PL |
D29 |
|
.15** |
-.02 |
-.06* |
|
FPro |
-.31** |
-.05 |
.02 |
-.15** |
|
FKon |
.26** |
.20** |
.04 |
-.08* |
SE |
D29 |
|
.26** |
.07* |
-.07* |
|
FPro |
-.65** |
-.05** |
-.09* |
-.05 |
|
FKon |
.61** |
.15** |
.09* |
-.18** |
Anmerkung. FPro = Faktor der vier positiv gepolten Items (hohe Werte stehen für ein konservatives Antwortmuster; FKon = Faktor der drei negativ gepolten Items (hohe Werte stehen für ein liberales Antwortmuster); *: α ≤ .05; **: α ≤ .01; Geschlecht: 0 = Mann; 1 = Frau
1. Vorhersage von Item D29 durch Alter, Bildung und Geschlecht: Ältere Befragte aus allen Ländern mit Ausnahme von Italien und Luxemburg nehmen häufiger als jüngere Befragte an, dass Zuwanderer die Lebensqualität in ihrem Land verschlechtern. Ein entsprechender Zusammenhang für Befragte mit niedriger versus höherer Bildung zeigt sich für alle Länder. In Schweden erwarten eher männliche als weibliche Befragte negative Effekte von Zuwanderern auf ihr Land.
2. Vorhersage der Pro- und Kontra-Faktorausprägungen (Tabelle 17) durch die vier Prädiktoren: Je positiver die Folgen der Zuwanderung nach den Antworten zu Item D29 eingeschätzt werden, desto wahrscheinlicher ist in allen sechs Ländern eine liberale Haltung zur Asylpolitik und zu Asylbewerbern nach den Ausprägungen der Befragten auf dem Pro-Faktor mit den vier positiv und dem Kontra-Faktor mit den drei negativ gepolten Asylbewerberitems. In Polen ordnet sich Item D53 primär dem Pro- und nicht wie in allen anderen Ländern dem Kontra-Faktor zu. In den traditionellen Einwanderungsländern Deutschland und Großbritannien sowie in Schweden ist dieser Zusammenhang jedoch deutlich stärker ausgeprägt als in den drei anderen Ländern. Befragte aus allen Ländern mit höheren Bildungsabschlüssen beurteilen Asylbewerber nach ihren Ausprägungen auf dem Kontra-Faktor liberaler als Befragte mit niedrigerer Bildung. Mit Ausnahme von Polen und Westdeutschland gilt dies auch für die Beurteilung asylpolitischer Maßnahmen, d.h. die Zusammenhänge mit den Ausprägungen auf dem Pro-Faktor. Signifikante, aber substanziell eher unbedeutende Variationen mit dem Geschlecht zeigen sich demgegenüber nur für Befragte aus den traditionellen Einwanderungsländern Deutschland und Großbritannien sowie aus Schweden, mit liberaleren Beurteilungstendenzen von weiblichen im Vergleich zu männlichen Befragten. Die Ausprägungen auf dem Pro-Faktor variieren in diesen drei Ländern jedoch nicht systematisch mit dem Alter, sondern nur in Italien, Luxemburg und Polen, in denen ältere Befragte wahrscheinlicher konservativere Einstellungen zur Asylpolitik haben als jüngere Befragte. Hohe Ausprägungen auf dem Kontra-Faktor sind in allen Ländern mit Ausnahme von Italien umso wahrscheinlicher, je älter die Befragten sind.
Festzuhalten ist somit: Zwei der negativ gepolten Items des Kontra-Faktors erfassen offensichtlich Einstellungen zu Asylbewerbern allgemein. Der durch die drei negativ gepolten Items indizierte Kontra-Faktor korreliert zwar wie zu erwarten mit den durch die positiv gepolten Items des Pro-Faktors erfassten Einstellungen zur Asylpolitik. Nach einer nur moderaten Assoziation erfassen die hier dokumentierten sieben Items jedoch offensichtlich unterschiedliche Einstellungs- oder Methodenfacetten. Dass sich das ebenfalls Asylpolitik thematisierende Item D53 in allen Ländern außer Polen dem Kontra- und nicht dem Pro-Faktor zuordnet, ist inhaltlich nicht nachzuvollziehen und widerspricht auch den Erwartungen der Konstrukteure dieser Itembatterie. Offensichtlich sind dafür vorrangig die negative Polung oder auch andere Formulierungsschwächen sowie Übersetzungsabweichungen dieses wenig formal validen Items verantwortlich. Die unerwartete faktorielle Einordnung von Item D49 könnte auch durch seine mögliche Interpretation als Wissensfrage, d.h. als objektive Frage mit verursacht sein.
Deshalb könnten in zukünftigen Studien zwar die vier positiv gepolten Items zur Operationalisierung von Einstellungen zur Asylpolitik herangezogen werden. Wenn Ländervergleiche angestrebt werden, müssten aber auf jeden Fall die hier beschriebenen Übersetzungsabweichungen korrigiert und die Itemübersetzungen weiterführend sorgfältig geprüft und gegebenenfalls angeglichen werden. Die drei negativ gepolten Items, und unter diesen insbesondere Item D53, sollten jedoch nur in modifizierter Form und ergänzt durch weitere Items zur Erfassung von Einstellungen zu Asylbewerbern erneut eingesetzt werden.
Deskriptive Statistiken (Normierung)
Die kategorialen Antwortverteilungen (Tabelle 11) für die sieben Items liegen sowohl für die Befragten aus allen sechs Ländern vor als auch gesondert für die Länder (Tabelle 12) .
Antwortverteilungen (%) und Mittelwerte (M) für Befragte aus allen sieben Ländern (N = 9903)
Positiv gepolte Items |
|
||||||
|
liberal |
konserativ |
|
||||
|
1 |
2 |
3 |
4 |
5 |
M |
|
D50 |
10.9 |
53.4 |
13.1 |
18.7 |
3.9 |
2.5 |
|
D51 |
4.3 |
31.3 |
27.5 |
29.7 |
7.1 |
3.0 |
|
D54 |
3.8 |
48.1 |
22.1 |
21.1 |
4.8 |
2.7 |
|
D55 |
7.5 |
44.3 |
18.5 |
23.2 |
6.5 |
2.8 |
|
negativ gepolte Items |
|||||||
D49 |
17.8 |
43.0 |
22.8 |
14.7 |
1.7 |
2.4 |
|
D52 |
9.1 |
36.8 |
31.7 |
20.2 |
2.2 |
2.7 |
|
D53 |
5.4 |
37.1 |
17.3 |
31.7 |
8.5 |
3.0 |
|
Anmerkung. 1 = Stimme stark zu; 2 = Stimme zu; 3 = Weder noch; 4 = Lehne ab; 5 = Lehne stark ab
Antwortverteilungen (%) und Mittelwerte (M) der Asylbewerberitems für Befragte aus allen sieben Ländern (N = 9903) und zu allen sieben Items
Positiv gepolte Items |
||||||
|
liberal |
konserativ |
|
|||
|
1 |
2 |
3 |
4 |
5 |
M |
D50: Arbeitserlaubnis |
||||||
DW |
9.8 |
56.5 |
11.0 |
18.0 |
4.7 |
2.5 |
GB |
2.7 |
41.3 |
12.6 |
34.7 |
8.7 |
3.1 |
IT |
12.3 |
47.2 |
21.9 |
15.2 |
3.4 |
2.5 |
LU |
23.4 |
55.5 |
7.0 |
11.7 |
2.4 |
2.1 |
PL |
6.1 |
51.3 |
19.4 |
21.2 |
2.0 |
2.6 |
SE |
16.4 |
67.5 |
8.7 |
6.5 |
0.9 |
2.1 |
D51: Großzügige Antragsprüfung |
||||||
DW |
2.0 |
15.1 |
25.5 |
40.2 |
17.2 |
3.6 |
GB |
1.6 |
26.5 |
25.1 |
39.3 |
7.5 |
3.2 |
IT |
4.3 |
21.8 |
35.5 |
31.5 |
6.9 |
3.1 |
LU |
9.0 |
22.4 |
22.1 |
38.7 |
7.8 |
3.1 |
PL |
6.3 |
57.3 |
23.6 |
12.1 |
0.8 |
2.4 |
SE |
4.6 |
37.4 |
34.9 |
19.9 |
3.3 |
2.8 |
D54: finanzielle Unterstützung |
||||||
DW |
2.3 |
48.7 |
22.8 |
20.9 |
5.3 |
2.8 |
GB |
1.0 |
37.4 |
20.4 |
34.2 |
7.0 |
3.1 |
IT |
2.1 |
31.9 |
32.0 |
26.6 |
7.4 |
3.1 |
LU |
9.3 |
52.2 |
14.1 |
17.1 |
7.3 |
2.6 |
PL |
5.2 |
46.3 |
25.0 |
20.5 |
3.0 |
2.7 |
SE |
4.2 |
67.3 |
20.2 |
7.5 |
0.9 |
2.3 |
D55: Familienzusammenführung |
||||||
DW |
5.1 |
43.0 |
17.6 |
26.1 |
8.2 |
2.9 |
GB |
0.8 |
32.5 |
16.2 |
38.6 |
12.0 |
3.3 |
IT |
8.7 |
42.6 |
26.0 |
16.7 |
5.9 |
2.7 |
LU |
18.6 |
49.6 |
11.2 |
15.2 |
5.4 |
2.4 |
PL |
12.4 |
62.3 |
13.6 |
10.5 |
1.1 |
2.3 |
SE |
3.7 |
37.7 |
27.6 |
25.7 |
5.2 |
2.9 |
Negativ gepolte Items |
||||||
|
liberal |
konserativ |
|
|||
|
1 |
2 |
3 |
4 |
5 |
M |
D49: gerechter Anteil Asylbewerber |
||||||
DW |
13.1 |
49.0 |
20.5 |
14.9 |
2.4 |
2.4 |
GB |
34.4 |
47.8 |
11.8 |
5.3 |
0.7 |
1.9 |
IT |
13.6 |
40.8 |
28.8 |
14.3 |
2.5 |
2.5 |
LU |
28.8 |
47.5 |
12.6 |
9.6 |
1.5 |
2.1 |
PL |
5.7 |
34.7 |
34.0 |
24.3 |
1.4 |
2.8 |
SE |
9.4 |
37.7 |
31.0 |
20.1 |
1.9 |
2.7 |
D52: vorgetäuschte Verfolgung |
||||||
DW |
12.6 |
39.6 |
26.2 |
18.5 |
3.1 |
2.6 |
GB |
11.5 |
40.8 |
31.1 |
15.5 |
1.0 |
2.5 |
IT |
4.6 |
35.7 |
36.8 |
19.8 |
3.1 |
2.8 |
LU |
16.7 |
36.4 |
23.1 |
21.4 |
2.4 |
2.6 |
PL |
7.5 |
46.3 |
30.3 |
15.0 |
0.9 |
2.6 |
SE |
1.8 |
20.0 |
42.2 |
32.6 |
3.5 |
3.2 |
D53: Auffanglager |
||||||
DW |
4.8 |
24.7 |
17.4 |
39.6 |
13.4 |
3.3 |
GB |
7.5 |
39.8 |
14.9 |
33.0 |
4.8 |
2.9 |
IT |
1.9 |
12.8 |
20.3 |
43.3 |
21.7 |
3.7 |
LU |
6.0 |
42.9 |
13.4 |
28.8 |
9.0 |
2.9 |
PL |
9.0 |
69.6 |
12.6 |
8.2 |
0.6 |
2.2 |
SE |
1.9 |
23.1 |
25.2 |
41.7 |
8.1 |
3.3 |
Anmerkung. 1 = Stimme stark zu; 2 = Stimme zu; 3 = Weder noch; 4 = Lehne ab; 5 = Lehne stark ab
Aus Gründen der leichteren deskriptiven Interpretierbarkeit werden zusätzlich auch die Mittelwerte der Antworten für jedes Item aufgeführt. Für die vier positiv formulierten Items (D50, D51, D54, D55) reflektieren hohe Werte auf der Antwortskala konservative Haltungen. Für die drei übrigen, entgegen der Schlüsselrichtung "Konservatismus" formulierten Items (D49, D52, D53), spiegeln sie liberale Haltungen wider.
Die Häufigkeitsverteilungen zeigen (Tabelle 12), dass die Summe der beiden Antwortkategorien, die konservative Einstellungen ausdrücken, für die Items D49, D52 und auch D53 in fast allen Ländern und folglich auch über die Länder hinweg (Tabelle 11) höher sind als für die übrigen Items. Diese negativ gepolten Items sind offensichtlich weniger schwierig, d.h. leichter in Schlüsselrichtung Konservatismus zu bejahen als die positiv gepolten Items.
Auf Länderebene (Tabelle 12) ist zudem zu beobachten, dass Befragte aus Schweden alle Items mit Ausnahme von Item D55 immer mit am liberalsten beantworten. Befragte aus Großbritannien äußern demgegenüber im Vergleich zu denen der anderen sechs Länder tendenziell konservativere Einstellungen. Auffällig ist zudem, dass Befragte aus Luxemburg die Items D49, D52 und D53 mit am konservativsten, die Items D50, D54 und D55 hingegen mit am liberalsten beantworten. Die auffälligsten Unterschiede zeigen sich für Item D53: Befragte aus Westdeutschland, Großbritannien und Italien beantworten es im Vergleich zu ihren sonstigen Antworten überdurchschnittlich liberal, solche aus Luxemburg und Schweden ähnlich wie die übrigen Items und Befragte aus Polen von allen Items am konservativsten, und somit konträr zu den Befragten aus allen anderen Ländern.
Der Datensatz kann auf der Homepage des European Social Surveys heruntergeladen werden: